Nach einer Woche Achterbahn durch den Home-Office-Keller, und dies ist verdammt nochmal emotional gemeint, brauche ich diesen Teil 4 ganz, ganz dringend für mein Selbstwohl. Das mit den Kommentaren zu diesem Blog müssen wir halt noch üben, aber immerhin haben mich auf anderen Wegen Eure Wünsche erreicht. Corona kann keiner mehr hören und eine Powerpoint mit Screenshots zur Eingabe eine Kommentares möchte ich nicht mehr machen. Deshalb auf gehts jetzt direkt in die zentralafrikanische Republik.
Die ersten Gorillas hatten wir ja nun gesehen und so wurde es mal wieder Zeit für echte Menschen. Allerdings muss ich zugeben, dass die Gorillas sich sehr oft menschlicher benehmen, als so mancher Mensch im Alltag. Und glaubt’s mir oder nicht, die haben noch nie etwas von Home-Office gehört, obwohl sie eigentlich nichts anderes tun, streng genommen. Und sie prügeln sich auch nie, nein wirklich niemals um Toilettenpapier.
Wo war ich stehengeblieben. Wir wollten nun also einen Tag mit den Ba’Aka, dem Pygmäenstamm der ZAR, verbringen. Eigentlich stehe ich nicht so auf geführte Touren durch die Kulturen. Ich komme mir da meist so vor, wie der reiche, weiße Tourist, der sich etwas anschaut, was halt exotisch ist und doch garantiert nichts mit dem eigenen Leben zu tun hat. Und in der Regel wird einem ja nur alles Mögliche vorgeführt, was recht wenig mit dem wirklichen Alltag zu tun hat. So habe ich meist auch das Gefühl, dass die Vorgeführten, eher nur beschränkt Freude daran haben und es doch nur für’s Geld tun.
Das einzig Gute dabei ist, mir wird mein Lebens-Lottogewinn mal wieder so richtig unter die Nase gerieben. Ja, ich komme nach Afrika, bezahle Geld und schaue mir Kulturen an, die nichts mit meinen eigenen Leben zu tun haben und ich stehe dazu. Denn so finde ich mal wieder Bodenhaftung, hinterfrage für mich mein Leben und kann mir eine Meinung bilden, ohne dass ich darüber nur gelesen habe. Auch kann ich Geld geben, ohne das ich Betteln fördere und kann gleichzeitig lernen, mit wie wenig man doch auch glücklich sein kann. Und eins ist es wirklich, unglaublich leerreich.
Der erste Lerneffekt trat ein, als ich feststellte, das ich mit meinen 167 cm tatsächlich in anderen Regionen dieser Welt die Ehefrau von Gulliver sein könnte. Genau hier war ich der Riese unter den kleinen Ba’aka und deshalb auch für sie eine Attraktion. Nicht ein einziger Ba’Aka war größer als ich, die meisten habe ich um einen ganzen Kopf, und ich habe einen großen Kopf, geschlagen. Nun könnte man meinen, dass mich dies zur großen Gazelle neben ein paar Kleinwüchsigen machte. Aber nix da, denn trotz Riese sah ich nicht schlanker und länger aus, auch nicht meine Beine. Ich war einfach nur riesig und die Foto’s haben eine automatische Sperrklausel für die Familienalben, insbesondere in Kombination mit meinem Ich-ziehe-jeden-Tag-das-Gleiche-an-Look. Aber hier ist ja nicht Familienalbum.

Zweiter Lerneffekt: Es gibt echt abgefahrene Kulturen. Die Ba’Aka schleifen sich noch immer mit Volljährigkeit die Zähne zu spitzen Beisserchen, damit die Feinde gleich bei der ersten Zahnkontrolle Angst bekommen. Da wir die Ba’Aka meist nur haben lachen gesehen, war es weniger einschüchternd, sonder eher abgefahren interessant. Wie machen die dass mit den Zahnhälsen, die nun frei liegen? Was sagt ihr Zahnarzt des Vertrauens dazu? Ich schätze, die sind einfach so hart im Nehmen, dass so ein bissl Zahnschmerz ausgesessen wird oder einfach dazu gehört. Und da sie ja keinen Kühlschrank mit einer eisgekühlten Cola haben und es immer so warm ist am Äquator, kennen sie auch das Gefühl nicht, wenn eisgekühlte Cola auf offenen Zahnhals trifft. Alles macht Sinn.

Insgesamt also ein total faszinierendes Volk mit sehr tiefen Wurzeln zur Natur. Und wir durften halt mal dosiert dabei sein, bei diesem naturverwurzeltem Leben. Und so bekamen wir nach stundenlangen Wanderungen frisches und sauberes Wasser direkt aus den Luftwurzeln zu trinken, wo ich Städter ja selbst direkt am Wasserloch verdurstet wäre. Und wir packten bei der Treibjagd mit Netzen einfach mit an, was allerdings eine erfolgreiche Treibjagd verhinderte. Jetzt bekamen die Ba’Aka wegen uns nicht mal was zu essen.

Ganz am Ende unserer Reise, also nach der Rückkehr aus dem Kongo, durften wir dann nochmals zu der Gruppe Ba’Aka von diesem Tag und wir wurden aufgenommen wie alte Freunde. Hier durften wir dann auch direkt in ihr Dorf, was beim ersten Treffen noch nicht einmal denkbar war. Und all der romantische Scheiß von wegen, die leben dort ja total glücklich und alles erscheint so unkompliziert, hatte sich in diesem Zusammenhang direkt auch wieder erledigt. Denn wir sahen nun hungernde Kinder mit dicken Bäuchen und von Sandflöhen zerfressenen Füßen.

Einer unserer Guides hatte inzwischen einen Malariaschub und konnte kaum noch stehen. Ich sah die Männer, die statt ihrem Tagwerk nachzugehen an den Tüten mit Schnaps hingen und alkoholisiert zu nichts zu gebrauchen waren. Aber halt auch die Frauen, die sich um alles kümmerten: die Kinder, die Alten, das Essen, das Dorf. Und ich sah die Kinder, die mit dem wenigen was sie hatten ganz unbeschwert spielten und von Herzen lachten. Alles sah plötzlich deutlich realistischer aus als auf unserer Tour durch den Jungle und es hatte mit Exotik nichts mehr zu tun. Ich bin dankbar für diese Realität, die sich im Reiseprospekt natürlich weniger verkaufen lässt. Aber nur so siehst du die wahre Kultur und das wahre Leben. Und damit war ich auch wieder im Reinen mit der ersten geführten Tour durch die Kulturen.

Die Wälder werden hier ohne Ende abgeholzt und somit fehlt sämtliche Grundlage für das so schön vorgeführte natürliche Jagen, dass die Ba’Aka so gut können. Und wenn die Grundlage fehlt, haben sie viel Zeit für Nichts. Und dann kommen pfiffige Geschäftsmänner, die genau dies ausnutzen. Sie kommen nicht mit Kanistern voll Wasser und Essen, oder Arbeit, sondern sie bringen lieber Schnaps in kleinen Plastetütchenen, das verkauft sich halt besser. Und wenn die Ba’Aka mal nüchtern sind, müssen sie nun Touristen wie mir vorführen, wie ihr Leben früher mal war.
Was sagt mir das? Mir geht es scheiße gut, auch jetzt noch in Corona-Zeiten und mir scheint die Sonne aus dem Arsch. Und ich weiß auch, dass ich so verwöhnt bin, dass ich dieses Leben bei den Ba’Aka scheinbar nicht lange überleben würde und für diese Erkenntnis zolle ich Ihnen meinen ganzen Respekt. Kann ich direkt etwas ändern? Scheinbar nicht, aber wenigstens denke ich über das WIE nach.
In dem Zusammenhang kommt nun die Geschichte mit den Prostituieren, ein anderes trauriges Kapitel. 2010 wurde an der gleichen Stelle, wo wir nun die Ba’Aka kennengelernt haben, der englische Movie „OKA Amerikee“ gedreht. Hierfür wurden hunderte Engländer über diesem schönen Fleckchen Erde abgeworfen, die über Monate hier drehten und lebten. Der Hauptdarsteller dürfte einigen zum Beispiel aus „Tatsächlich Liebe“ bekannt sein. Also durchaus ein Movie mit fast Hollywood-Faktor.
Das wirklich Erschreckende dabei war, dass innerhalb von Tagen sich das Ba’Aka-Dorf extrem vergrößerte. Alle neuen Dorfbewohner waren allerdings junge Frauen, für unser Empfinden noch Kinder, die sich nun als Zeitvertreib für die meist männlichen Engländer der Filmcrew anboten. Erschreckend dabei finde ich nicht die Entscheidung der jungen Frauen, sondern eher die hohe Nachfrage, die dieses Angebot erst ermöglicht hat. Über die Monate der Drehdauer wurden es auch immer mehr und danach, also 10 Monate später, wurden es sicherlich noch viel mehr. Muss das sein? Kann man nicht irgendwo einen Film drehen und seinen Hosenstall mal zulassen? Wenn hier der „Tatort“ gedreht wird, ist dies doch auch nicht das erste Bedürfnis was bedient werden muss, warum also in Afrika? Vor ein paar Monaten wurde hier vor meiner Haustür ein „Polizeiruf“ gedreht und es ist auch nicht automatisch das horizontale Gewerbe aufgelaufen. Die Briten sollten sich jetzt mal ordentlich schämen.
Warum ich diese Einzelheiten weiß? Nicht etwa, weil dies eine unserer ersten Fragen beim Kennenlernen der Ba’Aka war. Wäre ja auch etwas mit dem Kopf durch die Wand und so dicke Freunde waren wir ja nun auch nicht. Nein, der Grund war, dass zu unserer Zeit nun endlich Premiere dieses Films angesetzt wurde. Und so war die halbe Crew wieder vor Ort, um den Dorfbewohnern, die ja fleissige Statisten und Schauspieler waren, den Film zu präsentieren und vielleicht auch um die vielen süßen kleinen Mischlingsbaby’s zu begrüßen, die auf wundersame Weise seither auf die Welt kamen. Auf die offizielle Premiere in Bangui wurden wir dann auch eingeladen, aber dies und dieses wirklich sehr besondere Kinoerlebnis ist dann eine ganz andere Geschichte.

Ich merke gerade, dass diese Reise mehr ein Buch wird, als ein paar Blogeinträge, was komisch ist, da ich nach der Reise sehr lange gebraucht habe um mich mit dem Erlebten zu versöhnen. Aber jetzt macht es Spaß und ist die beste Ablenkung von Mister Corona und dem Home-Office-Wahnsinn der letzten Tage. Und ganz zum Schluss drucke ich dann alle Teile aus, binde es zusammen und stelle es in die Buchhandlung, die dann hoffentlich wieder geöffnet hat. Mal sehen wer eher fertig ist, Mister Corona oder mein Reisebericht?
Also gibt es morgen auch gleich Teil 5 mit den Gorilla’s Part Two und der abenteuerlichen Überfahrt in den Kongo. Und ich verspreche, dann wird es auch wieder sehr lustig und weniger solch ein Zeigefinger-Journalismus. Aber auch das gehörte halt zu dieser verrückten Reise durch Zentralafrika.
Mhm… dieser Bericht stimmt mich nachdenklich! Es ist schon verrückt, was man, wenn man mal etwas abseits des Tourismus ist, (was uns Gott sei dank bisher bei jeglicher Reise gelungen ist) kennenlernt, erfährt. Man ist dankbar über sein eigenes Leben. Man sieht sehr deutlich was man hat! Wie viel!!!!
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Bin erst spät eingestiegen ins Lesen, aber total gespannt, wie es weitergeht! Tatsächlich ist es gut, sich immer mal wieder zu erden. Danke für diesen Ausbruch aus dem Alltäglichen!
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