Endlich Tag 3, endlich Silvester. Normalerweise bin ich eher so der Typ Silvestermuffel. Warum soll ich an einem Tag wie jeden anderen auf Kommando feiern, dass etwas zu Ende geht und etwas anderes beginnt? Hat sich mir nie so richtig erschlossen. Meistens bin ich traurig, dass das Jahr zu Ende geht, seufze über verpasste Gelegenheiten, nicht erfüllte Vorsätze und die eigene Planlosigkeit in diesem Moment, für das was kommen mag. Und all das klingt nicht nach einer lustigen, „spontanen“ Feier.

Aber dieses Jahr waren wir ja in Wien, einer meiner Lieblingsstädte. Entgegen dem Dauerregen in der Heimat schien hier sogar zeitweise die Sonne. Meine Familie war um mich herum, zumindest ein Teil. Und ich konnte endlich einen Punkt auf der Bucketlist abhaken. Denn heute pünktlich zum Jahreswechsel würde ich in Wien den Donauwalzer tanzen, statt vor Blitzknallern wegzurennen.
Aber fangen wir mal am Anfang des Tages an. Neben Silvester und dem Donauwalzer gab es nämlich heute noch eine Mission. Wir waren in Persona die feierliche Überraschung für jemanden. So fuhren wir recht früh in die Innenstadt und genossen vor der Überraschung einen kurzen Moment im Stephansdom. Eigentlich muss man hier immer einmal durch, wenn man am Stephansplatz aus der U-Bahn steigt. Sozusagen Pflichtprogramm für Wien-Besucher und U-Bahn-Nutzer.
Zum Jahresende ist hier drinnen ein Begängnis wie zu Black Friday in einem Primark in den USA. Eigentlich folgt man den Strom, kann zwischendrin noch schnell eine Kerze entzünden, schnappt 3 Sätze der stattfindenden Andacht auf oder wahlweise drei Noten der Orgelvorstellung und schon hat einen die Schlange wieder vor die Tür gesetzt. Ich schätze, deshalb macht einfach ein mehrfacher Besuch wirklich Sinn.
Vor dem Stephansdom sind mittlerweile die Sicherheitskräfte für die angehende Silvesternacht positioniert. Die sehen so angsteinflößend aus, dass ich mir nicht einmal getraue, den Fotoapparat aus dem Rucksack zu holen. Ich befürchte einfach, dass ich dann umzingelt werde, mich flach auf den Boden legen muss und alle vier Gliedmaßen inklusive Fotoapparat ausstrecken darf. Und dass möchte ich mir aktuell nicht geben. Erstens weil mein Magen noch vom Frühstück voll ist und somit keine Lageposition auf dem Bauch ertragen würde und zweitens, weil der Fussboden natürlich dreckig ist.
Aber all das spielt jetzt keine Rolle, denn die Überraschungszeit ist gekommen. Neben meinen Eltern sind nämlich nun noch weitere Familienmitglieder in Wien. Meine Tante und mein Onkel stoppen hier über Silvester während einer Donau-Kreuzfahrt. Und sie haben keine Ahnung, dass auch wir hier sind. Also treffen sie sich nichtsahnend vor dem Stephansdom mit meinen Eltern und wir schleichen uns von den Massen gedeckt langsam heran. Als ich dann im Abstand von nur noch 15 cm vor meiner Tante stehe, geht sie nur zu Seite, weil sie denkt: Wieder so ein blöder aufdringlicher Tourist, der meinen Mindesttanzabstand nicht einhalten will.
Doch irgendwann fällt der Groschen bei Tante und Onkel und die Überraschung ist gelungen. Hach wie gerne bin ich doch so eine personifizierte Überraschung. Sollte ich viel öfter machen.
Nachdem sich alle von dem Schock erholt haben, zeigen wir nun „unser“ Wien und benehmen uns dabei, als würden wir hier seit Jahrzehnten wohnen. Jedes Gebäude wird abwechselnd von meinen Eltern oder mir erläutert und es fehlt eigentlich nur noch, dass wir so eine deutsche Fahne hochhalten, damit man uns als Reiseführer durch die Menschenmassen folgen kann.
Natürlich entführen wir unsere „Touristen“ auf einen der Weihnachtsmärkte und natürlich gibt es einen Glühwein zum Anstoßen auf die gelungene Überraschung. Das darf schließlich nicht fehlen. Eigentlich wollte mein Onkel mit uns einen schönen Wiener Melange in einem der Café-Häuser trinken. Aber die Schlangen dort waren heute an Silvester eher noch länger. Und ein Glühwein ist sowieso viel leckerer.
Also gab es eben „nur“ diesen Glühwein nach der ausführlichen Stadtbesichtigung und dann verabschiedeten wir uns erst einmal in das klassische Vorschlafen für die Silvesternacht. Andere nennen es Schönheitsschlaf, aber den haben wir natürlich nicht nötig.
Nach unserem Deidei jedenfalls ging es wieder zum Stephansplatz inklusive der Schleife durch den Stephansdom, wo nicht weit entfernt Tisch Nummer drei für uns reserviert war. Dieses Mal bei Wein und Co.. Und wie unschwer zu erraten, ist hier das Highlight eher das angeschlossene Weinlädle und nicht die Kulinarik. Aber das heißt nicht, dass man hier nicht gut essen kann. Denn gleich am Eingang empfing uns die typische Austernbar, die wir gekonnt umschifften und im Untergeschoss versteckte sich die riesige Weinauswahl, die man sich für einen kleinen Aufpreis dann auch hoch an den Essenstisch liefern lassen kann. Natürlich auf die richtige Temperatur gebracht und sorgsam entkorkt. Allerdings kann es da so passieren, dass man nun statt in die Weinkarte in den Weinladen eintaucht und somit mit mehr als einer Flasche wieder auftaucht. So auch wir, die gleich noch einen Champagner für 0:00 Uhr einsackten. Denn auch wenn es tatsächlich an den Glühweinständen von Wien echten Champagner zum Trinken gibt, so vertrauen wir doch unserer eigenen Auswahl mehr, als der Auswahl der Glühweinverkäufer.
Jedenfalls läuteten wir den Abend hier mit einem leckeren Essen und noch leckererem Wein ordentlich ein. Und dann ging es los auf die Silvestermeile. Diese ist nämlich das absolute Highlight an Silvester in Wien. Durch die gesamte Innenstadt ziehen sich große Bühnen mit Livemusik. Alle umrandet von sehr viel Tanzfläche, ein paar Glühweinbuden und Essensständen und natürlich Dixiklo’s. Ich persönlich war ja bei der Betrachtung der Dixiklo-Reihen sehr froh, dass meine Eltern einen Hotelzugang inklusive Toilette in der Innenstadt hatten. Also nur so für den Notfall.
Wir jedenfalls tingelten nun von Bühne zu Bühne oder von Dixi zu Dixi. Zuerst fingen wir natürlich am Stephansdom an, wo man inzwischen von Klassik bis Popkultur alles hören konnte. Am Nachmittag gab es dort sogar Tanzkurse für unerfahrene Walzer-Tänzer. Also eigentlich genau das richtige für uns. Aber falls ihr denkt, ich hätte meinen Mann dazu überreden können, glaubt ihr bestimmt auch noch daran, dass der Berg zum Propheten gelaufen ist. Keine Chance und somit erwarte ich heute Nacht keine Darbietung a la Sissi und Franzl, sondern eher die Kombination eines tapsigen Elefanten im Tanz mit einer Gazelle. Es ist an Euch zu überlegen, wer welche Rolle übernimmt.
Jede der vielen Bühnen hatte einfach tolle Live-Künstler und so sangen wir zu Elton John-Hits genauso wie zu Abba und Rihanna. Aber das Beste war eindeutig die Bühne vor dem Rathaus, wo der falsche Falco von einem echten Konzert-Mitschnitt-Falco begleitet wurde. Beide unterstützten wir textsicher und sangen alle Songs lautstark mit. So waren wir umzingelt von insgesamt über 800.000 Menschen hier auf der Silvestermeile, die alle sangen und tanzten.
Nun könnte man meinen, bei so vielen Menschen in Feierlaune ist Ärger vorprogrammiert. Entweder durch den Wurf von Feuerwerkskörpern, oder aus der Fassung geratener Alkohol-Konsumierer ohne Limit. Aber weit gefehlt. Ich habe mich Silvester unter Massen noch nie so sicher gefühlt. Alle waren gut drauf und einfach nur in glücklicher Feierlaune. Die Massen tanzten und sangen und nicht ein Blitzknaller oder ähnliches flog durch die Gegend. Ein einfaches Verbot von Feuerwerkskörpern, was ausnahmslos eingehalten wurde. Einfach ein Träumchen.
Ich kann hier gar nicht genug schwärmen für diese Silvestermeile und ziehe mehr als meinen Hut vor der Organisation und Abwicklung der Selbigen. Das einzige kleine Manko fanden wir in der Versorgung mit Getränken. Denn die Glühweinstände waren einfach zu klein dimensioniert für fast eine Million Menschen. So hatte man die Wahl, sich entweder an sehr langen und sehr langsamen Schlangen anzustellen oder man verzichtete einfach auf die Getränke und tanzte ohne weiter. Wir waren ja sehr weise im Weinlädle gewesen und saßen somit nicht auf dem Trockenen. Stattdessen hatten wir uns im Hotel ein paar Pappbecher besorgt, die nun als Auffangschale für unseren teuren Champus dienten. Wahre Genießer rümpfen jetzt sicherlich die Nase. Aber was soll’s, in der Not frisst der Teufel Fliegen und wir trinken halt Champus aus dem schnöden Pappbecher. Geschmeckt hat es jedenfalls trotzdem hervorragend. Wir warteten auch nicht bis 0:00 Uhr für diesen Genuss, da wir uns einfach nicht von einer Uhrzeit sagen lassen wollten, wann wir nun schlemmen dürfen. Genau das ist spontanes Feiern!
Als dann an dem Rathausturm die Uhr von 59 Sekunden an herunterzählte, zählten in Wien über 800.000 Menschen mit und besonders der Countdown wurde lautstark zelebriert. Und dann war es soweit: Das Jahr 2024 begann und es ertönten auf allen Bühnen zeitgleich die Klänge zum Donauwalzer. Die Menschen nahmen sich in die Arme und wiegten sich zu den Melodien. So auch wir. Da es dunkel und verdammt eng war, sah dann auch keiner, wie schlecht wir tanzten. Und es war auch völlig egal, ob wir hier Profi’s sind oder halt eben nicht. Es spielte einfach keine Rolle.
In den Randbezirken wurden in Summe, so glaube ich, 10 Raketen abgefeuert und wir in der Innenstadt vor dem Rathaus bewunderten ein Laserfeuerwerk ganz ohne Puff und Peng und hörten dabei von Falco
Vienna Calling:
Wien, nur Wien du kennst mich up, kennst mich down
Du kennst mich
Nur Wien, nur Wien, du nur allein
Wohin sind deine Frau’n?
Ohoho, so alone am I
Ohoho, I need you tonight
Hello, oho, Vienna calling
Hello, oho, Vienna calling
Two, one, zero, der Alarm ist rot
Wien in Not, cha, cha, cha
Vienna calling, oho
Vienna calling, oho oho
Und so geht diese fantastische Silvesternacht in Wien zu Ende. Selbst in unserem Randbezirk außerhalb des Innenstadtringes liegt nur eine gezündete Batterie einsam auf der Straße, statt dem roten Schnippselteppich, den wir aus Deutschland gewöhnt sind. Und genau das finde ich toll. Und auch wenn die Gefahr besteht, dass nach meinem Blog nächstes Jahr die 1 Million als Gäste-Grenze geknackt wird (ja, ich leide an völliger Selbstüberschätzung), so will ich es doch teilen und eineindeutig weiterempfehlen.
Gutes Nächtle Vienna, du bis so schee!












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