Einzelhaft oder Klapsmühle

Was ist nun schlimmer, im Corona-Shutdown ein alleinlebender Single zu sein, oder sein Kind 24/7 betreuen zu dürfen?

Jetzt habe ich mich ja sehr wohlwollend ausgedrückt. Ich glaube „müssen“ ist hier das richtigere Verb.
Und ja auch Georg ist nun die nächsten Wochen zu Hause und stellt unsere Nerven mehr als auf die Probe. Wäre die Kitaschließung nicht gekommen, hätte ich ein echtes Problem gehabt. Denn ich habe mich in den neuen Eltern-sind-Superhelden-Kräften probiert und das erste Mal seine Haare geschnitten, damit er nicht raus zum Friseur muss. Tja und so kann er jetzt nicht mehr raus an die Öffentlichkeit. Kaum noch Haare auf dem Kopf, dafür einen schrägen Hinterkopf und einen anders schrägen Pony und zwischendrin sind irgendwie immer noch Haare, die aus der Durchschnittshöhe herausschauen. Und so habe ich schon mal eine Superheldenkraft gefunden, die ich definitiv nicht beherrsche.

Deshalb gilt bei meiner Tagesfrage der erste Blickwinkel den anderen wackeren Mütter und Väter, die nun völlig unverschuldet demnächst einen Platz in der Klapsmühle sicher haben. Was haben wir uns nur dabei gedacht, Kinder in die Welt zu setzen und gleichzeitig arbeiten gehen zu wollen. Alles nur weil wir uns die ganze Zeit sicher gefühlt haben, mit den ab heute deutlich unterschätzten Kindererzieherinnen und -erziehern im Hintergrund. Und wir hatten eigentlich nie eine wirkliche Chance. Und wir konnten uns weder seelisch noch körperlich auf diese Mission vorbereiten, so sicher wie wir uns mit einer monatlichen Abstandszahlung gefühlt haben.

Deshalb bekommen von mir ab heute nicht mehr nur die Erzieher-Gruppen das Prädikat des Superhelden, sondern auch alle Eltern im Homeoffice. Wir müssen nun unsere schlafenden Superheldenkräfte so richtig ausspielen. Also bitte so weiterarbeiten wie gehabt bzw. noch etwas härter, weil sich die Kollegen in Quarantäne befinden oder man neue Arbeitsmethoden entwickeln muss. Und in den sonst üblichen Raucherpausen geht es nun zum Kinde und hier wird die Superhelden-Bespaßungsmaschinerie aufgerufen. Heute war ich dann gefühlt Kettenraucher, habe allerdings keinerlei Befriedigung dabei erfahren, sondern war superheldenmäßig gestresst bis zum Anschlag. Bis gestern war ich übrigens noch Nichtraucher, Nichttrinker und Teilzeitvegetarier. Jetzt brauche ich alles gleichzeitig zur Betäubung und als Grundlage für den morgigen Tag.

So ein Fünfjähriger versteht das Ganze Corona-Gedöns halt noch nicht und er war bis Freitag 8 Stunden Spiel, Spaß und ca. 30 Kumpels zum rumtoben gewöhnt. Parallel wurde gebastelt, gekocht, gesungen und getanzt und gekuschelt. Und wir armen Home-Office-Superhelden müssen nun genau dieses Niveau halten, allerdings immer mal während der kurzen „Raucherpausen“ dafür dann in hundertfacher Intensität.
Funktioniert nicht! Langsam bin ich, Superheldin, echt frustriert. Ich dachte mit etwas malen, basteln und den vielen Spielsachen, kommen wir schon über den Tag.

Pustekuchen, mein Kind hat mir sehr schnell klar gemacht, wie hoch die Latte liegt und dass ich wahrlich keine Superheldin bin. Dabei habe ich doch mit ihm Toilettenpapiermumie gespielt, haben ja genug von dem Zeug und irgendeinen Zweck sollte der Lagerbestand eines Tagungshotels doch haben. Und ich habe mit ihm den Bastelschrank geplündert und alles an Spielzeug über den Boden in beiden Etagen verteilt. Jeder der mich kennt, weiß, dass ich einen riesigen Bastelschrank habe, der dem gesamten Sortiment von IDEE Konkurrenz machen könnte, und trotzdem hat es einfach nicht ausgereicht. Genauso wie sein Spielzeug, denn nie ist das richtige zur Hand.

Was ihm heute am meisten gefehlt hat, und das an Tag 1, war ein Kumpel zum Spielen. Und das tut mir in der Seele weh, denn ich weiß, dass er meine Erklärungen dazu nicht verstehen kann und trotzdem einen Kumpel will.

„Ich will, ich will, ich will.“

Also werden wir nun zusätzlich zu den genannten Aktivitäten zukünftig Kumpel sein, also Fussball spielen bis auch ich mal ein Tor schieße, Hasche und Verstecken bis zum abwinken, zusätzlich in alle Kostüme im Faschingsfundus schlüpfen und der Fantasie freien Lauf lassen. Und wenn ich dann in der nächsten Telefonkonferenz vor der Kamera im Superheldenkostüm sitze, ist es bestimmt endgültig meine Eintrittskarte in die Klappsmühle. Aber als Superhelden-Mama bin ich dann stolz wie nur irgendwas.

Aber vor lauter Selbstmitleid, und ich suhle mich gerade so richtig darin, Ganzkörper mit Vollbad, fiel mir auf, dass es doch noch ein Schicksal in diesem Shutdown gibt, dass ich nicht teilen möchte. Die Spezies des alleinlebenden Singles bekommt hiermit mein vollstes Mitgefühl, falls nach dem Suhlen im Selbstmitleid noch etwas übrig ist.

Ich kann mich ja wenigstens nach solch einem Tag wie heute noch auf der Couch an meinen Mann kuscheln und mit Tränen in den Augen sagen:

„Jo, wir schaffen das.“
&
„Alles wird gut, irgendwann.“

Genauso wie wir uns anschreien können, wenn der Frust mal raus muss, und abwechseln oder einfach alles zusammen durchstehen. Und wenn wir uns in 1-2 Wochen gegenseitig umbringen, überlebt doch bestimmt einer von uns, der dann mit Georg den Rest durchsteht. Aber eines sind wir wirklich nicht: alleine.

Ich kann mich noch gut erinnern wie es war, alleinlebender Single zu sein. Und ehrlich gesagt, war da schon jeder Sonntag viel zu lang für diese Mission der Einsamkeit. Und jetzt reden wir von mehreren Wochen. Also eines habe ich soeben beschlossen, egal wie fertig ich und mein Superheld am Abend sind, wir werden regelmässig unsere Singlefreunde anrufen und ihnen telefonischen Beistand leisten. Notfalls gibts Facetime um ein bissl Abwechslung in die Telefonate zu bringen. Und wenn wir noch unsere Superhelden-Kostüme anhaben und von oben bis unten bemalt sind, kann unser Single-Anruf-Empfänger wenigstens mal lachen.

Doch dass ist nur ein Anfang. Wenn ich daran denke, wie viele alte Omi’s und Opi’s mittlerweile alleine leben, ob im Heim oder im eigenen Zuhause, dann läuft mein internes Wassersystem total über und ich heule wie ein Schlosshund. Das können wir nicht machen, nun mal ehrlich. Jetzt bekommen wir endlich mal die Chance so eine richtige Superhelden-Kraft zu entfalten.

Wenn ihr keinen kennt, der in dieses Raster fällt, dann ruft im nächsten Heim oder Pflegedienst an und gebt Eure Nummer weiter, damit Euch diese einsamen Herzen einfach mal anrufen können, zum reden, vorlesen oder einfach nur klagen. Lest die Zeitungen vor, aber bitte nur die guten Tratschzeitungen zu Wendler und Lady Di, ohne Corona & Co., erzählt von einer tollen Reise und nehmt sie mit, fragt nach ihrer Jugend und saugt dieses wohlige Gefühl von Dankbarkeit einfach mal in Euch auf.

Diese Vereinsamung kommt nun wirklich einer Einzelhaft gleich, und wenn eines unser menschliches Experiment zeigen sollte, dann dass wir nicht nur an uns denken, in unserer Klapsmühle.

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