Vierundvierzig Minuten oder das Entfliehungszimmer

Schon als Kind habe ich Rätsel geliebt. Am Anfang waren es sicherlich so typische Rätsel wie: „Wo ist mein Lieblingskuscheltier?“ oder „Warum sieht mein Mehrschweinchen plötzlich ganz anders aus?“. Und ich bin im nachhinein froh, dass ich nicht jedes Rätsel lösen konnte und man mir Illusionionen wie die des sich verändernden Meerschweinchens nicht geraubt hat.
Später wurden es dann die kleinen kurzen Rätsel und Fragen des Lebens. Andere nennen es Flachwitze, aber letztendlich sind auch dies irgendwie Rätsel, wenn man die Sekunden zwischen Frage und Antwort lange genug ausdehnt.

Welche Vögel hören nichts?

die Tauben

Oder ich rätselte über die große Frage“Wer ist der Mörder?“, wenn ich wieder einen der vielen Krimi’s verschlang, die ich so gerne lese. Hier half meist, ganz aus Versehen das Buch von hinten aufzuschlagen und die letzte Seite zu lesen. Es ist halt manchmal verwirrend, wo vorne und wo hinten an so einem Buch ist. Aber auch mit diesem Versehen, habe ich meist lange, lange gerätselt und alle Versionen durchgespielt…der Gärtner, der Postbote, die Ehefrau????

Auch eine schöne und unterhaltsame Form von Rätseln ist, die Suche nach dem Schlüssel, der Sonnenbrille oder dem Handy. Hier wird es meist schon komplizierter, denn weder gibt es eine lustige Pointe am Ende, noch kann ich die letzte Seite vom Buch aufschlagen und eine Notlüge hilft mir da auch nicht weiter. Hier muss ich kombinieren, rückwärtsgehen und jede der noch vorhandenen Gehirnzellen aktivieren. Manchmal habe ich ja das Gefühl, die Sachen verstecken sich extra von ganz alleine, weil das Suchen so viel Spaß macht. Wenn man das Verlorene dann gefunden hat, kommt meist ein „Ja klar, das ist logisch“. Für meine Rätselleidenschaft tue ich fast alles, inklusive Dinge verlieren.

Aktuell suche ich einen Ohrring. Was die Suche erschwert ist die Tatsache, dass ich gefühlt seit Jahren keine Ohringe getragen habe und wir zwischenzeitlich ja auch mal umgezogen sind. Ich befürchte, dass ich dieses Rätsel gar nicht lösen werde. Vielleicht verlange ich Eintritt und lasse andere an diesem Rätselspaß teilnehmen. Damit schlage ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe…reich werden und Ohrring wiederfinden.

Aber es gibt schon andere, die dies professionell machen. Für alle Rätselbegeisterte gibt es ja nun seit einigen Jahren die Möglichkeit sich in Zimmer einschließen zu lassen und diesem Rätseldrang ungehemmt und fast unbeobachtet nachzugehen. Sogenannte Escape Rooms schießen aus ungenutzten Kellern und leerstehenden Hallen empor. Und nachdem ich darüber gelesen, von Überlebenden gehört und im Netz recherchiert hatte, wurde es Zeit, dass auch ich mir dieses Entfliehungszimmer mal genauer anschaue. Und so fand ich mich vor einer Woche mit Mann und Stieftochter in einem dieser Kelleretablissements wieder. Für nicht gerade wenig Geld durfte ich mich für eine Stunde meines Lebens im Keller einsperren lassen und Ziel war, so schnell wie möglich wieder rauszukommen. Wenn ich das so lese, klingt es fast wie ein „Fritzl-Abenteuer“, nur dass ich mit meiner Familie im Verlies war, sogar dafür bezahlte und statt nach 24 Jahren schon in max. 1 h rauskommen würde. Also wenn alles gut geht.

Nun standen wir also vor unserem Kellerverlies und waren recht aufgeregt. Ich, weil ich nicht wusste, was mich erwarten würde. Swen, weil ich ihn aufregte und Pini, weil sie solche Abenteuer liebt und ebenfalls gespannt war. Ein Junger Mann, Typ Ich-Studiere-im-20.-Semester-Informatik, wies uns in die Grundregeln des Entfliehungs-Gedöns ein. Fakt war, die Tür wurde schon einmal gar nicht wirklich zugeschlossen, sondern ich hatte die Möglichkeit bei Brand, Übelkeit oder Blasensprung direkt das Zimmer ohne einen Rätselerfolg wieder zu verlassen. Das nahm mir schonmal 50% meiner Aufregung. Die Tatsache dass der Teilzeitstudent uns die ganze Zeit per Video in allen ungünstigen Positionen….kriechend, stolpernd, ahnungslos…beobachten würde, nahm mir dann auch die restliche Aufregung. Nun wurden uns noch die verschiedenen Schlössertypen erklärt, damit wir auch jede Rätsellösung ordnungsgemäß in das passende Schloss eingeben können. Und los ging es.

Wir befanden uns in einem schwedischen Wald und mussten die Frage aller Fragen klären:

Wer ist der Mörder?

Und wir waren gut. Wir kombinierten wie wild und hatten die ersten Teilrätsel in wenigen Minuten gelöst, ohne das unser Dauerstudentenjober helfend eingreifen musste. Wir mussten mit Hölzern stapeln, Fische angeln und wiegen und das alles in stockfinsterer Nacht. Hilfreich war die Spinne über der Tür sicherlich nicht, denn ab der Entdeckung suchte Pini mehr nach Spinnen, als nach des Rätsels Lösung. Andererseits war dadurch auch der Fluchtweg versperrt und wir waren noch mehr gezwungen nun alle Rätsel zu lösen. Irgendwann hatten wir endlich das Schloss zum nächsten Zimmer gelöst, der nächste Wald und alles war noch finsterer. Allerdings mussten wir dafür durch ein flaches Zelt kriechen, was die Vorhut Swen und Pini auch gleich taten. Ich blieb zurück mit dem Hinweis über das WalkieTalkie:

„Hinter Ihnen ist gerade der Mörder im Wald und will Beweise vernichten, also schnell in den nächsten Wald. Da sind Sie sicher!“

Nun war ich also noch im falschen Wald, wollte aber alle Hinweise sichern, die wir noch nicht verwendet hatten. Also packte ich die große Reisetasche, die wir bekommen hatten mit den Badehosen der Getöteten (wozu auch immer ich diese brauchen könnte), der Übersicht aller Fingerabdrücke und ein paar Flaschen Wein. Diese wären zum trinken ja schön gewesen, waren aber leer und mit Buchstaben und Pfeilen versehen und ich wurde freundlich eindringlich vom Dauerstudentenjober darauf hingewiesen, die Finger von ihnen zu lassen. Während ich also gemütlich in purer Panik mein Täschchen packte, hämmerte es plötzlich von außen an die Waldtür als wäre ein Nashorn dagegengelaufen. Ich schrie los wie im Hitchcock Krimi und hechtete mit meiner Reisetasche bewaffnet sportlich durch das Zelt direkt in den Nachbarwald, während Pini und Swen sich vor Lachen nicht mehr einbekamen. Ich schätze von Körperspannung war nichts zu sehen, dafür ein neu erschaffener Bewegungsablauf: Das Kniehechten.
Mein Puls war aktiviert und ich war endlich voller Spannung. Natürlich schaffte es der fiese, fiese Mörder nicht durch das Zelt und so konnten wir weiter rätseln. Der erste Hinweis war, dass der Mörder Angst vor Wölfen hat. Also heulte ich völlig ungeniert gleich los, als wenn ich ein ganzes Wolfsrudel wäre. Ich bin mir da ja in nix zu schade und mach mir auch keine Gedanken darüber, ob der Dauerstudentenjober am anderen Ende der Kameraüberwachung sich schlapp lacht. Aber es passierte nix, außer dass uns die Ohren weh taten. Irgendwann kam der dezente Hinweis, dass ein Rudel halt aus mehr als einer Person besteht und gefälligst alle mitheulen müssen. Jetzt konnten sich meine beiden Mit-Sherlocks nicht genierend rausreden, sondern durften im Kanon heulen. Warum nicht gleich so. Damit kamen wir unserem Ziel viel schneller näher.

So nun gibt es mal Futter für alle Verschwörungstheoretiker und die Beantwortung der Frage, was der Unterschied vom Theoretiker zum Praktiker ist. Denn selbst im Entfliehungszimmer fanden wir einen Freimaurerhinweis. Sicherlich war es eigentlich ein Hinweis zur Rettung der Welt, aber wir suchten ja nur einen Ausgang und alles Andere war uns egal. Und da wir eher Praktiker sind, wusste Pini sofort, wie sie diesen Code entschlüsseln muss. Ich kapierte dank ihrem Vorbild auch in Sekundenschnelle, was zu tun ist, doch Swen dagegen sah aus wie ein Atilla H. im Interview und fragte nur ständig: „Könnte mir mal jemand erklären, was ihr da macht???? Da kann nur eine Verschwörung dahinter stecken!“. Wir jedenfalls lösten so auch die letzte Rätsel souverän und rannten in Lichtgeschwindigkeit aus dem Raum. Und was sollen wir sagen? Wir waren die Monatsschnellsten mit 44 Minuten und das als Anfänger. Vor lauter Glückseeligkeit vergaßen wir glatt, wer nun eigentlich der Mörder war. Irgendwie ging das glatt unter. So muss es den Kriminologen auch gehen. Die freuen sich, dass sie alles rausgefunden haben, feiern sich und vergessen dabei glatt, den Schuldigen zu verhaften. Und dann heißt es, es gibt noch soooo viele ungelöste Fälle und dabei wollen die nur noch etwas weiter rätseln.

Ich jedenfalls bewerbe mich jetzt für ein Kriminalistik-Fernstudium und suche noch Schwerverbrecher zum überführen. Aber bitte inklusive solch schwieriger Rätsel wie Fische wiegen, Schlösser knacken und den Freimaurer-Code. Und falls das nix wird, gibt es ja noch zahlreiche andere Entfliehungszimmer für uns zu knacken.

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