Wir haben ja eigentlich schon Urlaubstag Nummer zwei und bevor ich nun auf das Ding mit dem Zug und der Spitze eingehe, berichte ich doch lieber einmal kurz von unserem gestrigen ersten Urlaubstag. Den haben wir nämlich in Leipzig verbracht und den 50. Hochzeitstag meiner Eltern zelebriert. Und ich glaube für meine Eltern war es ein wunderschöner Tag. Genauso wie für uns, auch wenn ich unter Planungsstresskarma litt.
Seit Wochen hatte ich alles vorbereitet und geplant. Ich habe mit allen Freunden, Verwandten und Bekannten Kochrezepte für ein großes Kochbuch zur Erinnerung gesammelt, um dieses dann drucken zu lassen. Ich habe den eigentlichen Tag geplant, umgeplant und erneut neu geplant. Und irgendwie hatte ich ständig das Gefühl, einfach geht irgendwie anders. Und dieses Gefühl blieb auch gestern mein ständiger Begleiter. Entweder war mein Planungskarma Schuld oder meine Eltern hatten doch nicht nur puderzuckersüße, rosa Ehestunden.
Es fing mit dem Kochbuch der Liebe an. Hach klingt das romantisch. Ich habe mit ganz vielen Freunden, Verwandten und Bekannten insgesamt 42 Rezepte gesammelt und in ein dickes Kochbuch designt. Da ich schon ungefähr einhundert Fotobücher beim Fotobuchdealer meines Vertrauens ohne Probleme bestellt habe, war die Wahl, wer nun dieses Foto-Koch-buch drucken sollte, eine leichte. Auch hatte ich rechtzeitig alles fertig, also was sollte passieren? Naja, es passierte das was ich nicht erwartet hatte: das Fotobuch war innerlich toll, aber auf dem Cover fehlte schlicht der güldene, zur goldenen Hochzeit passende Text. Also eine Welle beim Fotobuchdealer des Vertrauens schlagen, Problem suchen und beheben und auf den allerletzten Drücker das Kochbuch nochmals bestellen. Es kam dann tatsächlich am letzten Tag vor dem Jubiläum und hatte nun endlich auch einen güldenen Titel. Habe ich schon mal erwähnt, dass ich solchen Nervenkitzel nicht brauche?
Kommen wir zu meiner Tagesplanung. Nach diversen Stolpersteinen, die mir bei der Planung in den Weg gelegt wurden, stand irgendwann doch der perfekt durchchoreografierte Plan. Alles war vorausgeplant, förmlich minütios durchgeplant. Aber hier musste ich gestern feststellen, das rein theoretische Planung, die auf Fakten aus dem Internet beruht, nicht ausreicht. Eigentlich hätte ich schon mal alles einen Tag davor durchspielen müssen. Hab ich aber nicht und so kam es wie es kommen musste, mein säuberlich ausgedachter Plan war für die Tonne.
Es fing an, dass wir zuerst an die Thomaskirche fuhren. Der Ort, wo alles vor 50 Jahren begann und der Einstieg in eine Revivaltour. Nur die Thomaskirche war der Meinung, dass es komplett unnatürlich ist, schon am Morgen 10:30 Uhr die Kirche betreten zu wollen. Haben nämlich erst ab 12 Uhr geöffnet, was man nur weiß, wenn man pünktlich 10:30 Uhr vor der Kirche steht.
Aber ich bin ja flexibel bis zum Anschlag. Also ging es weiter auf der Revivaltour durch das Waldstraßenviertel, ihrer alten Wirkungsstätte. Der nächste Stop sollte ein total cooles In-Café sein, wo wir einen total coolen In-Kaffee trinken wollten. Ja, dieses Café war sogar da und war auch offen, aber so was von in, dass nicht mal mehr ein Plätzchen für ein halbes Hinterteil vorhanden war. Wer kann denn als arbeitender Mitmensch ahnen, dass in einem In-Cafe an einem Freitag, also mitten in der Woche, lauter Studenten ihr gemütliches Bio-Frühstück einnehmen und das stundenlang. Total unrealistisch und realitätsfremd.

Also ging es stattdessen in einen völlig uncoolen Bäckereiladen einer Bäckereikette und es gab den klassischen Milchkaffee mit Tütchenzucker. Läuft ja bisher richtig gut, dachte ich mir noch, als ich den nächsten Stop ansteuerte. Ein Weinlädchen, der 11:30 öffnen sollte und in dem sich meine Eltern einen Wein für den Abend aussuchen sollten, also rein theoretisch.
Was soll ich sagen? Der Laden hatte wegen Urlaub geschlossen und mein Karma ist Scheiße.
Doch zum Glück gibt es in Leipzig nicht nur mehr als ein Café, sondern auch weitere Weinläden und so konnte ich die Mission abschließen, wenn auch anders als gedacht.

Inzwischen war es 12 Uhr und so konnte uns auch die Thomaskirche nicht mehr den Eintritt verwehren. Okay ohne Brautkleid, dafür mit Masken war es nicht ganz das Gleiche wie vor fünfzig Jahren. Aber als pünktlich beim Eintritt die Orgel spielte waren wir schon wieder versöhnt mit unserem Karma.

Dann ging es noch völlig ohne Zwischenfälle und ganz wie geplant weiter. Also total langweilig. Also nichts passiert. Naja, so sollte ich es nicht sagen, denn wir hatten noch einen ganz tollen Tag. Zuerst ging es wie vor fünfzig Jahren in das traditionelle Versorgungsrestaurant und dort hatte man mir sogar angeboten, das damalige Hochzeitsmenü nachzukochen. Meine Eltern hatten tatsächlich noch die Rechnung von damals mit Brühe, Krebscocktail, Grillplatte mit Mischgemüse und einer Eisbombe. Aber da mir das Restaurant nicht den gleichen Preis bieten konnte und sich in 50 Jahren sowohl der Geschmack als auch das Speisenangebot zum Besseren entwickelt haben, gab es etwas anderes.
Dann ging es weiter an den Störmthaler See und mit dem Boot zur schwimmenden Kirche, die keine Kirche ist. Aber sie ist ein Standesamt und sieht aus wie eine Kirche und da wollen wir mal nicht Krümelkacken. Nachdem wir den offiziellen Teil auf der Insel in Form von Reiseführerischen Hinweisen hinter uns gebracht hatten, kam der private Teil. Die Stewards brachten Sekt, ich zückte vorbereitete Hochzeitgelübde aus der Handtasche und Georg & Pini standen mit flexiblen Modeschmuckringen mit „Love“-Aufdruck bereit. Also die volle Romantikoffensive ohne Vorwarnung für meine schüchternen Eltern. Da ich ja gelegentlich schreibe, habe ich mit den Gelübden nicht ganz so daneben gelegen und so wurden Trähnchen mit Lachern abgewechselt. Jetzt kann es in die nächsten Ehejahrzehnte gehen.
Und zum absoluten krönenden, güldenen Abschluss luden wir meine Eltern noch in ein echtes Sternerestaurant in Leipzig ein. Ein Genuss auf ganzer Linie und alle Geschmacksknospen wurden beansprucht.
Auch meine Gehirnzellen waren auf Genuss programmiert. Was bei der angebotenen Weinbegleitung zu den vielen Gängen so sehr ausartete, dass ich heute morgen ganz schön zerknittert aus der Wäsche schaute, als mein Sohn mich um 7:11 Uhr freudig mit den Worten weckte:
„Heute fahren wir in den Urlaub!!!!!“
Zu viel Input, zu früh und viel zu laut. Aber er ja hatte Recht. Wir wollten ja heute in den Urlaub starten. Sind wir auch. Sind sogar angekommen. Nach 6 Stunden Autofahrt von Walgesängen begleitet, landeten wir an der Zugspitze. Wieso Walgesänge? Naja, wir haben festgestellt, dass so ein Dachgepäckträger mit Box durch ein Glas-Schiebedach ungefähr so klingt, wie ein Wal mit Trillerpfeife. Ich brauche nicht erwähnen, dass meine gestressten restlichen Gehirnzellen auf ein Dauerpfeifen überhaupt nicht freudig reagiert haben. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, wären wir im Schritttempo immer noch unterwegs. Stattdessen fuhren wir mit wechselnden Geschwindigkeiten und damit wechselnden Intensitätsstufen der Wale. Also bei 100 km/h klang es wie so ein leises Schornsteinpfeifen und steigerte sich ab 140 km/h in eine riesige Wal-Trillerpfeifen-Orgie. Und heute stehe ich eher so auf eine Unterhaltung mit ganz leisen Schnecken oder Amöben oder auch Spinnen. Hauptsache leise.
Naja, wir sind aber irgendwie angekommen und nun weiß ich hälftig, warum die Zugspitze so heißt, wie sie heißt. Also das mit dem Zug verstehe ich nun. Es liegt ganz offensichtlich daran, dass genau vor unserem Balkon die ZUG-Strecke langläuft und ich direkt in die Fenster der Reisenden winken kann. Eigentlich ist es fast so nah, dass ich die Tickets überprüfen könnte. Aber das machen wir nicht. Stattdessen genießen wir das halbstündige leichte Vibrieren des Hauses und verbuchen es als Wellness-Angebot. Und da direkt dahinter die Berge liegen, versöhne ich mich mit dem Fahrplan, der mich halbstündig aus meinem Balkonstuhl schmeißt und freue mich auf die viele Natur, die hinter diesen Bahnschienen liegt. Und dann erfahre ich vielleicht auch noch woher das „Spitz“ der Zugspitze kommt. Ich hab da so eine Ahnung, aber mit Halbwissen wollen ich und meine halbtoten Gehirnzellen heute nicht mehr glänzen.

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