Ich seh den Wald vor lauter Bäumen nicht

Ich bin Fallschirm geflogen, zweimal im Tandem. Ich stand vorm Löwen und habe überlebt. Auch bin ich nachts schon alleine durch den Bahnhof gelaufen. Ich mache wirklich jeden Scheiß mit und scheue kein Risiko, aber was ich wirklich nie mache, nein wirklich nie, ist, mit einem Mountainbike den Berg runter fahren. Dafür bin ich einfach nicht gemacht. Ist mir genetisch nicht vorbestimmt. Und deshalb verstehe ich auch nicht wie ich heute morgen vorschlagen konnte:

„Wollen wir heute mit den Monsterrollern von der Sunnalm runterfahren?“

Das Wort Monsterroller hätte ein Hinweis sein können, auch die Tatsache, dass für eine erste Fahrt als Probe die Mittelstation empfohlen wird. Aber nein, ich muss heute Nacht Mut getankt haben, denn ich hielt es für eine gute Idee gleich mal ganz oben zu starten. Also zumindest bis dahin, als ich auf 1.677 m Höhe mit meinem Monsterroller stand und vor mir 7 km Abfahrt lagen. Was hat mich nur geritten? Wie typisch am Liftausgang ging es gleich mal steil runter, damit man auch ordentlich Fahrt bekommt. Nix wenn man erst einmal in Ruhe das Monster kennenlernen will. Wie bremse ich? Wie lenke ich? Hier war es wie beim Speeddating, ich kam nicht einmal dazu mir die Frage selbst zu stellen, geschweige denn meinem gelben Monster. Und ich musste direkt nach den ersten drei Metern feststellen, dass man nicht mit links volle Kanne bremsen sollte. Das war nämlich die Vorderradbremse und die kam sofort, sprich mir flog das doch recht monströse Hinterteil des Monsters um die Ohren. Nur mit rechts bremsen war aber auch nicht die Lösung, zumindest nicht für 7 km Abfahrt. Dann hätte man mich irgendwann mit brennenden Reifen schon vom Tal aus gesehen. Also war Feingefühl gefragt. Ich habe ja welches, aber mein Monster kannte mich ja noch nicht so gut. Also habe ich bestimmt einen Kilometer gebraucht um den idealen Bremszyklus zu finden. Bis dahin hatte ich Krämpfe in den Fingern an beiden Händen und jeder Muskel in mir war verspannt.

Allen die mich in dieser Phase auf der Strecke aufmunternd oder mittleidig anlächelten, schrie ich ein übertriebenes „Macht total Spaß“ entgegen. Aber ich selbst nahm es mir nicht ab und ich glaube auch nicht die anderen. Ich war auf Überleben programmiert. Gott-sei-Dank übernahm Swen den Transport von Georg. Das hätte ich und meine Nerven nämlich garantiert nicht überlebt.

So aber musste ich mich nur auf mich, meine Hände und die Windgeschwindigkeit im Gesicht konzentrieren. Mit jeder getriffteten Kurve, mit jedem km/h mehr und mit der Sicherheit der Macht über die Bremsen fand ich aber doch noch meinen Spaß und heizte die Wege hinunter. Und irgendwie kamen wir alle breit grinsend und heile unten im Tal an. Ich glaube an wahre Wunder und bleibe doch dabei, dass ich auf keinen Fall auf ein Mountainbike steige. Viel zu viel Adrenalin.

Meine Uhr hat offensichtlich einen echten Angstmesser. Denn während ich mich ja im eigentlichen Sinn nicht wirklich bewegt habe, sondern nur eine reichliche Stunde Blut und Wasser geschwitzt habe, zeigte mein Aktivitätszähler unglaubliche 53 Aktivitätsminuten an. Ich schätze es waren 53 Angstminuten und mein Puls hat sich für die Uhr wie Sport angefühlt. So kann man sie also austricksen!

Anschließend waren wir der Aktion noch nicht müde und fuhren wieder auf den Berg, wechselten aber die Abfahrtsvariante. Nun ging es auf der Sommerrodelbahn runter. Und Georg durfte erstmalig alleine hinunter heizen, und dass obwohl seine Mutter und seine Schwester aus Vorsichtsgründen und Schiss in der Buchse dagegen waren. Nur der Vater meinte, dass wir unserem Kamikaze-Johny ruhig mal vertrauen können und das dies zur Mannwerdung dazugehört. Aber mein Kopf schrie nur: „Was ist aber wenn….“. Doch ich wurde überstimmt und so durfte Georg seine erste Sommerrodelbahn ohne elterliche Begleitung hinunter rasen. Naja, ganz ohne elterliche Begleitung ist auch nicht ganz richtig, denn vorne dran fuhr Swen im Schritttempo zum ausbremsen falls nötig und hintendran fuhr ich immer bereit, hinter ihm herzuhechten. Ich brauche nicht erwähnen, dass die Schlange hinter uns von dieser Taktik nicht begeistert war, auch nicht davon, dass wir quasi alle Hand in Hand ins Tal fuhren.

Aber wir haben alle unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen überlebt und das war ja das Wichtigste. Und so durfte Georg noch zu einer zweiten Fahrt mit etwas erhöhter Geschwindigkeit und ohne Mutter im Nacken. Und auch die wurde überlebt und die Mutter ist nun etwas gelassener.

Zum Abschluss des Tages beschlossen wir noch etwas zu wandern. Denn auch wenn meine Uhr weiterhin behauptete, dass ich meine Tagesziele bei nur 2000 Schritten schon erledigt hatte, so entsprach das ja nicht ganz der Wahrheit. Also ging es an den gletscherfarbenen Heiterwanger See und ich durfte meine Finger wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zuführen. Fotografieren statt krampfhaft bremsen. Hach was ein schöner Tag.

Und nun zur Titelerläuterung. Georg kommt in genau 26 Tagen in die Schule. 26 Tage wie 26 Buchstaben im Alphabet. Und so hat seine Mutter mit Hilfe der großen Schwester vor dem Urlaub noch einen Schulanfangs-Countdown gebastelt. Bestimmt weil sie vor langer Weile nicht wusste, was sie tun sollte. Und diesen Schulanfangs-Countdown habe ich nun heute früh prominent auf dem Frühstückstisch vor seinem Teller platziert. Eigentlich nicht zu übersehen, weil in buntes Papier eingepackt und so gar nicht nach Frühstück aussehend. Aber Georg wunderte sich noch nicht einmal was es ist. Irgendwann spielten wir dieses lustige „Warm-Kalt“-Spiel und auch da checkte es Georg nicht. Zwischenzeitlich befürchteten wir schon, dass er sich mit dem Kopf eher ne Beule daran holt, als es zu entdecken. Aber nach zähen Minuten fiel es ihm dann doch irgendwann auf.

Nun wird jeden Morgen abgestrichen und wir üben Buchstaben und Zahlen, damit das Kind schon mit fertigem Abitur in der Tasche in die Schule kommt. Wichtig ist auch, jeden Tag etwas mit dem passenden Anfangsbuchstaben auf unseren Wanderungen zu finden und als Erinnerung in die Kiste zu packen. Heute versuchte er uns ständig zu überreden, ein paar lebende Ameisen einzupacken. Aber zum Glück fiel uns noch ein, dass auch der Ast mit einem A beginnt. Schwein gehabt. Ich bin übrigens allen Ideengebern für die Buchstaben X und Y sehr aufgeschlossen und dankbar gegenüber, denn weder werden wir eine Xanthippe finden noch passt eine Yacht in unsere Schatztruhe. Hilfe!!!

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